Martin Walser: Brandung
Sprachgewalt: Das findet man nur noch selten. Martin Walser besitzt sie ganz eindeutig. Im kommenden Jahr wird er 90 Jahre alt und es besteht die Hoffnung, dass er uns dann noch immer mit neuen Werken beschenkt. In den vergangenen Jahren war er noch regelmäßig mit Lesungen im Stuttgarter Literaturhaus zu Gast.
Walsers Roman Brandung stammt aus den achtziger Jahren und ist mir einer der liebsten von ihm. Der Protagonist: Helmut Halm, den wir bereits aus der verfilmten Novelle Ein fliehendes Pferd kennen. Den biederen, schwerfälligen Deutschlehrer verschlägt es für einige Monate an ein kalifornisches College, wo er im wörtlichen und im übertragenen Sinne in die Brandung gerät. Der Fünfundfünfzigjährige verliebt sich dort in eine Studentin.
Es ist nicht die Story einer unpassenden, unerfüllten Liebe, die diesen Roman ausmacht. Es ist die Auseinandersetzung mit Traum und Wirklichkeit, mit kulturellem und Generationenkonflikt, mit dem Altwerden und der eigenen Mittelmäßigkeit. Alles allzu menschlich. Das Besondere aber ist die Sprache, mit der Walser alle auf die hinteren Ränge verweist, die da meinen, ein Roman sei erst dann flüssig zu lesen, wenn das Weiße auf dem Blatt überwiegt. Absätze ziehen sich über mehrere Seiten; direkte, fein säuberlich mit Anführungszeichen gekennzeichnete Rede sucht man vergebens; die Möglichkeiten der Grammatik werden ausgeschöpft. Und dennoch: Walsers Erzählkunst wirkt wie ein Strudel, der uns mitnimmt. Mit diesem Roman kann auch der Leser in die Brandung geraten.